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Ryuichi Sakamoto

12 - Ein Nachruf

Masterworks/Commons/Sony Music

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Album 06.07.2023

Mit Ryuichi Sakamoto verstarb einer der größten Visionäre der jüngeren Musikgeschichte. Der Oscar-, Golden-Globe- und Grammy-dekorierte Komponist, Produzent, Dirigent, Schauspieler und Klangdesigner hinterlässt große Fußabdrücke – nicht nur in der Pop- und Filmmusik, sondern auch in der Elektronik, Avantgarde, Klassik und dem Jazz. 12 ist sowohl sein musikalische Vermächtnis als auch eine Art Tontagebuch, das er während seines zweieinhalbjährigen Kampfes gegen den Krebs aufgenommen hat. Dabei verfolgte er nicht die Absicht zu komponieren. Er wollte sich selbst einfach nur von Klängen überfluten lassen. Das daraus entstandene Album entführt den Hörer in eine zutiefst berührende Parallelwelt.

Mit 71 Jahren verlor Ryuichi Sakamoto schließlich den Kampf gegen den Krebs… und die Welt einen großen Künstler. Am 17.1.1952 in Nakano, Tokyo geboren, begann er schon während seiner Schulzeit seine musikalische Laufbahn als Jazzpianist in diversen Bands. Er absolvierte ein Studium an der Tokyo National University of Fine Arts and Music und widmete sich dabei den Schwerpunktfächern elektronische und ethnische Musik, in denen er graduierte. In den späten 1970er-Jahren generierte er auch außerhalb der japanischen Medienlandschaft viel Aufmerksamkeit. Zum einen durch sein Soloalbum 1000 Knives, das mit einer furiosen Mischung aus asiatischen Klängen, Elektropop, Jazz, experimenteller Musik sowie Reggea aufwartete, zum anderen mit der Formierung der Band Yellow Magic Orchestra. YMO, das er gemeinsam mit Haruomi Hosono und Yukihiro Takahashi gründete, galt vielen Musikkritikern als fernöstliches Pendant zu Kraftwerk. Ryuichi-Sakamoto-Sammler sind gestraft. 25 Studio-, 11 Live-Alben und 12 Kompilationen sind noch längst nicht alles: 24 Veröffentlichungen mit YMO, 38 Soundtracks, zig Produzententätigkeiten und unzählige Kooperationen mit renommierten Musikern – Sondereditionen und Japan-Only-Releases nicht mit eingerechnet – dürften dem eingefleischten Sakamoto-Fan finanziell schwer zu schaffen machen und reichlich Recherche-Zeit in Anspruch nehmen.

Im Laufe seiner Karriere arbeitete Ryuichi Sakamoto mit Künstlern wie Towa-Tei (Deee-Lite), Madonna, Iggy Pop, Jaques und Paula Morelenbaum, Brian Eno, David Sylvian, David Byrne, Bernardo Bertolucci und Carsten Nicolai zusammen. Vor allem die Begegnung mit Sylvian, Sänger der Kultband Japan, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband, führte zu ersten großen internationalen Erfolgen: Die von Sakamoto mit eingespielten und produzierten Sylvian-Soloalben Brilliant Trees und Secrets Of The Beehives wurden weltweit mit Musikpreisen überhäuft und gelten im Art-Pop als genreprägend. Die Zusammenarbeit mit Sylvian führte auch zur ersten hohen Chartplatzierung: Die Singleauskopplung „Forbidden Colours“ aus dem Soundtrack Furyo – Merry Christmas Mr. Lawrence – im gleichnamigen Spielfilm spielt Sakamoto neben David Bowie die Hauptrolle – erklomm die britischen Charts und etablierte den Japaner schnell als seriösen Filmkomponisten. Als solcher feierte Sakamoto auch seine größten Erfolge: Unvergessen sind der Soundtrack zu „Der letzte Kaiser“, den er gemeinsam mit David Byrne, Kopf der legendären Talking Heads, komponiert hat und der ihm einen Oscar einbrachte. Für die Filmmusik zu „The Revenant – Der Rückkehrer“, die zusammen mit dem Chemnitzer Musiker Carsten Nicolai (Raster-Noten) entstand und zu „Himmel über Berlin“, eine Kooperation mit Richard Horowitz, heimste er jeweils den Golden Globe ein. Für die Olympiade 1992 in Barcelona komponierte Sakamoto das klassische Musikwerk El Mar Mediterrani und dirigierte das Orchester zur Eröffnung der Sommerspiele. Einen einzigartigen Rekord hält Sakamoto in Japan: Das von ihm komponierte und 1999 veröffentliche Solopiano-Album BTTB – Back To The Basics, in dem er sich vor den französischen Romantikern, insbesondere Satie, Chopin und Debussy, verneigt, schaffte es auf Platz 1 der japanischen Albumcharts, das daraus ausgekoppelte „Energy Flow“ – eine für die klassische Musik äußerst ungewöhnliche Maßnahme der Plattenfirma Sony – schaffte es auf Platz 1 der Single-Charts.

2014 musste der Tausendsassa schließlich alle Projekte, an denen er aktuell involviert war pausieren, da ihm Luftröhrenkrebs diagnostiziert wurde. Ein Jahr später meldete er sich in guter Verfassung zurück und vermeldete die bösartige Krankheit besiegt zu haben. Der nächste Schicksalsschlag sollte jedoch sechs Jahre später folgen: 2021 stellten seine Ärzte Enddarmkrebs fest, der sich inzwischen auch auf beide Lungenflügel ausgeweitet hatte. Es folgte ein Kampf, den er nach zwei Jahren, am 28. März 2023, schließlich verlor. Umso schwerer wiegt sein letztes Vermächtnis, das zu seinem 71ten Geburtstag am 17. Januar 2023 veröffentlichte 12, das sich mit Sakamotos Ringen mit dem Krebs und dem Tod befasst. Sakamoto war von jeher in der Lage akustische und elektronische Klänge filigran ineinander zu verweben. Doch keines seiner Alben zuvor löst die Grenzen zwischen Organik und Synthetik so dermaßen kunstvoll auf, wie die Klangminiaturen auf 12. Piano und Synthesizer bestimmen das Geschehen, Beats und Vocals würden nur von den Landschaften, die Sakamoto mit feinstem akustischem Strich zeichnet, ablenken. So reduziert wie 12 klingt, so emotional berührend und abgründig ist es. Dabei zeichnet es eine eindringliche Unmittelbarkeit aus, die dem Ambient-Genre, das sich gerne in der Ausbreitung von faden Klangteppichen suhlt, gewöhnlich abgeht. Melancholische Klaviersprengsel schweben an größtenteils Naturklängen entnommenen Synthesizer-(ober)flächen, nur um urplötzlich wieder abzutauchen. Die Klanglandschaften auf 12 sind ständig in Bewegung und verharren niemals in ängstlicher Starre. In Angesicht des nahenden Todes umso beeindruckender, da Sakamoto die Bilder mit enormer innerer Weite auf die ganz große Leinwand projiziert. Reglementierende Genregrenzen waren ohnehin nie Sakamotos Ding. Aber wie seine stilistische Vielfältigkeit und innovative Schaffenskraft in 12 zusammenfließen, ist absolut einzigartig. Ryuichi Sakamotos letztes Album transportiert den Impressionismus des späten 19ten und des frühen 20ten Jahrhunderts in die Moderne – mit Empathie abringender Intimität und unvergleichlicher Strahlkraft. Ein Album für die Ewigkeit!

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2LP RZCM-77655-6
CD RZCM-77657