Beth Gibbons
Lives Outgrown
Goodtogo/Domino Records
Es ist nicht sonderlich wahrscheinlich, dass Portishead jemals wieder ein Album veröffentlichen werden. Umso überraschender schien es, als Gerüchte die Runde machten, Beth Gibbons – Sängerin der sagenumwobenen Trip-Hop-Formation aus Bristol – würde an ihrem ersten reinen Soloalbum arbeiten. An den Gerüchten war viel Wahrheit und es ist soweit: Mit Lives Outgrown erhebt sich ein majestätisches Meisterwerk aus der Flut der Musikveröffentlichungen!
Viele werden sich erinnern, welchen emotionalen und physischen Impact Portishead Debütalbum Dummy bei seinem Erscheinen auslöste: Bands, die sich dem sogenannten „Trip-Hop“ verschrieben – ein Begriff, den man eigens für den neuartigen Soundkosmos von Geoff Barrow, Adrian Utley, Dave McDonald und der 1965 in Exeter, Großbritannien geborenen Vokalistin kreiert hatte – schossen wie Pilze aus dem Boden. Portishead Karriere umspannt drei Studio- und ein Live-Album, die innerhalb eines Zeitraums von dreißig Jahren entstanden. Ob es jemals zu einer fünften Veröffentlichung kommen ist fraglich – auch wenn die Homepage der Briten nach wie vor aktiv ist. Solo-Lebenszeichen der einzelnen Bandmitglieder sind ebenfalls rar gesät: In 2002 veröffentlichte Gibbons gemeinsam mit Rustin Man, ein Pseudonym für Paul Webb, dem Bassisten von Talk Talk, den frenetisch gefeierten Longplayer Out Of Season. Die Kooperation mit Webb entstand nicht zufällig: Bereits 1992, zwei Jahre vor der Veröffentlichung von Dummy, hatte Gibbons einen Gastauftritt als Sängerin auf Herd Of Instinct, dem ersten Album des experimentellen Bandprojekts O.Rang, das von Webb und Talk-Talk-Schlagzeuger Lee Harris ins Leben gerufen wurde. Im Jahr 2019 sorgte Gibbons dann für eine faustdicke Überraschung in der Musikwelt, als sie als (ungelernte) Sopranistin, Henryk Góreckis dritter Symphonie live ihre Stimme verlieh – ein extrem mutiger Schritt, den sie da gemeinsam mit dem Polish National Radio Symphony Orchestra unter der Leitung von Krzysztof Penderecki wagte. Letzterer war es auch, dem Gibbons stimmliche Eindringlichkeit genau richtig erschien, um Góreckis „Sinfonie der klagenden Lieder“ die nötige Intensität zu geben. Diese „Intensität“ war schon immer Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Vokaldarbietungen der britischen Sängerin – so auch bei Lives Outgrown, das von Gibbons selbst, James Ford (Arctic Monkeys) und Lee Harris produziert wurde. Die Aufnahmen zu den reduziert, aber extrem liebevoll arrangierten Songs erstreckten sich über einen Zeitraum von zehn Jahren – eine Dekade, die laut Gibbons geprägt war durch Traurigkeit und Verzweiflung. Vielleicht klingt ihre Stimme deswegen noch fragiler, als man es von ihr kennt, was der Schönheit und Kraft von Lives Outgrown freilich keinen Abbruch tut – im Gegenteil: Sie intensiviert den dunkelspröden Charakter der Platte, die von minimalistisch gehaltenen Streichern, überraschenden Bläsersätzen, flirrenden Akustikgitarren und zarter Perkussion dominiert wird. Sie selbst spricht von einem „Abschiedsalbum“. Ob sie sich damit auf die persönlichen Verluste, die sie im Album thematisiert, bezieht oder einen Abschied vom Musikbusiness ankündigt lässt sie unbeantwortet. Falls sich Beth Gibbons zurückziehen sollte geht sie mit dem lautesten Knall der leisen Töne… und mit einem Album, das man nicht vergessen wird!
Album-Formate
Download/Streaming | https://www.qobuz.com/de-de/album/lives-outgrown-beth-gibbons/pz8eamyzbi8rc |
LP | Domino WIGLP287XBR |
CD | Domino BRC755 |